Die Berliner Schule

Um die Maler der „Berliner Schule“ angemessen würdigen zu können, lohnt ein Blick in die Mitte der 1960er Jahre. Entgegen der damals vorherrschenden Bestrebung der Kunsttheorie im Osten Deutschlands, die die Malerei auf eine bloße Abbildfunktion festlegen wollte, und den zunehmenden abstrakten Tendenzen im Westen des Landes, trat plötzlich eine Reihe von Künstlern in den Fokus der Öffentlichkeit, die wieder die Eigengesetzlichkeit der Malerei betonten. Sie standen in Opposition zu der akademischen Form in der Kunst wie sie an den Hochschulen gelehrt wurde und die zuerst durch das Naziregime, später durch den sozialistischen Realismus bestimmt worden war. Diesen Kreis von Künstlern verband weniger ein gemeinsames Manifest, sondern, neben einer tiefen Skepsis gegenüber jeder Ideologie und Schönfärberei, vor allem gemeinsame stilistische Aspekte. Für diesen Kreis hat der Kunstwissenschaftler Lothar Lang den Begriff „Berliner Schule“ geprägt.

Diese Ausstellung kann keinen repräsentativen Überblick über die Künstler der „Berliner Schule“ geben. Das überlassen wir gerne den Museen. Dennoch ist es uns gelungen, einen kleinen Einblick in das künstlerische Schaffen dieser Berliner Malergeneration, angefangen vom Frühwerk bis heute, zu geben. Natürlich könnte man die Runde derer, die man der „Berliner Schule“ zurechnen kann, um einige Namen erweitern. Brigitte Handschick und Dieter Goltzsche gehören ebenso dazu wie Rolf Händler und Rolf Lindemann, um nur wenige zu nennen. Notwendigerweise beschränken wir uns aber auf den innersten Kern dieses Freundeskreises, der „Berliner Schule“ genannt wird, angefangen mit den Urberlinern Christa und Lothar Böhme, Wolfgang Leber und Klaus Roenspieß bis zu den nach Berlin gekommenen Hans Vent, Konrad Knebel, Manfred Böttcher und Harald Metzkes.

Prägend für sie war die Klassische Moderne: Bei Böttcher und Metzkes sind während der so genannten „schwarzen Periode“ in den späten 1950er Jahren Anklänge an Buffet und Beckmann unübersehbar. Später schulten Picasso, Matisse, Chagall und Cézanne durch ihre Farbkultur das Auge dieser Berliner Malergeneration. Besonders Cézanne bezeichnete Harald Metzkes „als unsere große Akademie. Wir sind vom späten Cézanne rückwärts zum frühen vorgestoßen und haben dabei Grundlagen gesammelt.“ Jeder der hier ausgestellten Künstler ging auf diese cézannesce Akademie und jeder kam anders aus ihr heraus. Obwohl jeder dieser Maler seinen ganz eigenen Weg gegangen ist, seine Malerei in Farbe und Form langsam individualisiert hat, sind doch viele Verbindungen geblieben: Das gegenseitige Ermuntern und Stützen, die Diskussion und nicht zuletzt die Inhalte und Motive ihrer Bilder sind das Fundament ihrer künstlerischen Gemeinschaft. „Die Themen dieser Maler“, so schrieb Matthias Flügge, „sind Mensch, Stadt, Natur und das, was an Beziehungen dazwischen liegt. Solche auf Empfindung beruhende Lebensbefragung ist modellhaft, sie weitet sich in der Beschränkung und bewahrt eine kulturelle Identität. Ihre Harmonie ist nicht konfliktfrei, ihre Natürlichkeit nicht von devoter Hingabe, ihre Schönheit kein zweckfreier Wert.“ Im Unterschied zum metaphorischen Realismus der Kunst in Leipzig erhielt sich in der Berliner Malerei eine sinnliche Reflexion auf die Umwelt oder, wie der Kunsthistoriker Roland März treffend formulierte, „ein kulturvoller Peinturismus“.
Harald Metzkes beschrieb 1975 in einem Interview das ästhetische Programm der „Berliner Schule“ so: „Der ethische Wert der Malerei liegt in der dauernden Rekonstruktion des Bildes der Welt in all ihren Gegenständen. (…) Die Malerei kann keinen Gegenstand absolut darstellen, zum Beispiel den Menschen. Aber sie hat die Überzeugungskraft dazu. Die Vereinbarung mit dem Betrachter wird immer neu getroffen. Alte Vereinbarungen, wie zum Beispiel, wie der Mensch sei, bleiben nur zum Teil erhalten.“ Und: „Malkultur als Verfeinerung bedeutet dabei deutlicheres Herausarbeiten der Formen. (…) Das alles muß unter dem Diktat des Erlebnisses geschehen, der Begeisterung für den Glanz, der alle Gegenstände überhaucht, mit dem Mut, das Erreichte aufzugeben und zu zerstören, damit etwas entsteht parallel zur Schönheit der Natur. Auch wenn man in tiefster Trauer malt, leuchten und glänzen die Gegenstände.“

Auch wenn diese Ausstellung nur einen kleinen Ausschnitt der Malerei beleuchtet, der dem Lebenswerk der hier Ausstellenden unmöglich gerecht werden kann, so ist doch zu sehen, daß es sich bei diesem Künstlerkreis zwar keineswegs um eine stilistisch homogene Gruppe, sondern eher um Künstlerindividuen handelt, die ein gemeinsames Ziel, nämlich die Kunst, Kunst sein (und werden) zu lassen, nie aus den Augen verloren haben. Es sei erlaubt, an dieser Stelle Dr. Axel Schöne zu zitieren, der aus Anlaß der Ausstellung „Zurück zu den Anfängen“, die 1996 in Berlin stattfand, treffend resümierte: „Bei aller Ausschnitthaftigkeit des Gezeigten ist eines unübersehbar: Jeder der Ausstellenden vervollkommnet ein Werk, dessen einzigartige Wirkung jenseits vordergründigen Glanzes oder theatralischer Verführung liegt. Vielmehr geht es ihnen elementar um Kunst (…)“. Bei dieser Ausstellung, die eine Dekade später stattfindet, wird uns vor Augen geführt, daß die ehrliche Verpflichtung an die Substanz für diese Künstlergruppe noch immer eine gemeinsame Wahrheit bleibt.

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