In der Kunst Josef Hegenbarths lösen die Darstellungen und Gestaltungen des alltäglich Wunderbaren die Faszination im Betrachter aus. Seine Stilprägung als expressiver Zeichner erfährt Hegenbarth bereits in den 20er Jahren, erlebt aber seinen Durchbruch erst ab 1945. Seine Motivwelt bewegt sich nicht nur in Cafés, im Zirkus oder im Chaos der Strasse, sondern greift auch die mythischen und biblischen Gestalten auf und belebt die Figuren aus der Geschichte der Weltliteratur. Das Dramatische eines festgehaltenen Moments wird hervorgehoben, indem er die fließende Linienführung einsetzt, das Gerüst der Figuren mit knappen Umrissen und dunklen Akzenten hervorhebt und die Spannung verschärft, die durch die unterschiedlichen Größen der Figuren und durch Farbkontraste entstehen.
Als hervorragender Illustrator wusste Hegenbarth sich auf die interpretatorischen Rollen zu beschränken. Die Zeichnung zu Cervantes stellt den gegen unzählige Raben kämpfenden Don Quijote dar. Was das Blatt aus-zeichnet, ist die in der Zeichnung festgehaltene Bewegung, die das Sujet stark ironisiert. Dadurch wird das Zeichenwerk nicht als Attribut des literarischen Textes verstanden, sondern vollbringt die zweifache Schöpfung, indem das Wort und das Bild als ein Ganzes dargestellt wird. Die Illustrationen Josef Hegenbarths sind gelungene Versuche, die Figuren aus ihrem literarischen Sein zu erheben und sie in die Welt des Sichtbaren einzusetzen.
Im Gegensatz zu seinen Illustrationen lebt der Künstler in den Alltagsdarstellungen seine schöpferische Freiheit und Kraft, die das Aktuelle und das Zufällige aufgreift, hemmungslos aus. Die Protagonisten sind Menschen, arbeitend in den Trümmern, auf der Schaubühne, an der Haltestelle, beim Ein- und Aussteigen. Die Zeichnungen setzen klare künstlerische Akzente: sie erfassen das Charakteristische und zeichnen sich durch ihre unterschwellig, komikhaften, meist grotesken Züge aus. Sowohl Komik, als auch Groteske sind Ausdruck und Ergebnis eines Konflikts und dienen Hegenbarth für die Darstellung der Grenzüberschreitung zwischen dem gewöhnlich Alltäglichen und der Traumwelt. Sie sind Reaktion auf den Mangel an Sinn auf Erden!
Während Komik dem Betrachter erlaubt das Bild lustvoll zu erleben („Beim Aussteigen“), konzentriert sich die groteske Darstellung auf die subjektive Wahrnehmung des Zuschauers. Betrachtet man die Figuren in ihren Aktionen, so glaubt man, Teil des Geschehens zu sein. Die Steigerung der Wahrnehmung erfolgt, indem Hegenbarth „die Mode als Alltagsuniform“ gestaltet und dadurch die individuellen, grotesken Züge der Figuren verschärft. Zwar erzählen seine Bilder eine klare Geschichte und verführen den Betrachter in eine eigene Welt. Dennoch gehen die Figuren auf Hegenbarths Darstellungen nicht den direkten Dialog mit dem Zuschauer ein. Die Kommunikation findet nur untereinander statt. Zum Beispiel erzählt das Blatt „Frau und Radfahrer“ von einer zufälligen Begegnung. Der Betrachter wird jedoch nicht durch die Hauptprotagonisten in das Bild hineingezogen, die Öffnung in das Geschehen erfolgt vielmehr durch den Blick eines Hundes. Sowohl die real beobachtete Wirklichkeit als auch das Wort-Bild-Spiel in seinen illustratorischen Werken lassen Platz für eine poetische Nüchternheit. Diese Nüchternheit lässt dem Betrachter Raum für das Ausleben der eigenen Phantasie. Nie erzählt der Künstler seine Geschichten zu Ende. Dies bleibt dem Rezipienten überlassen. Nicht zuletzt darin besteht die eigentliche Meisterschaft des Josef Hegenbarth.
Ekaterine Oshkhereli (M.A.)